Vernichtendes Zuschauerurteil zu "Der Idiot" mit Klaus Kinski im Jahr 1952
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Tacitus -
September 5, 2019 at 6:13 AM -
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"Abends dann ins Hebbel-Theater. Zwei Uraufführungen sog. Studio-Opern. Premiere! Um 20.00 Uhr soll die Vorstellung beginnen. 10 Minuten nach 20.00 Uhr wird das Publikum noch nicht in den Zuschauerraub gelassen. Als es endlich den Zuschauerraum betreten darf, ist der Eiserne Vorhang noch nicht einmal hochgezogen. Als um 20.30 Uhr sich noch immer nichts rührt, beginnt es abwechselnd zu pfeifen und zu klatschen. Verschämt lächeln [...] die ersten Musiker. Vor den Eisernen liegen noch Notenblätter und Papiere herum. Endlich steigt auch der Eiserne. Man bemerkt auch die herumliegenden Papiere. Unter dem Vorhang tastet von innen eine Hand die Bühne entlang bis sie die Papiere erwischt und sie [...] hereingezogen hat. Es ist einfach unmöglich! Und das zu einer repräsentativen Festspiel-Aufführung! Was müssen auswärtige Gäste denken?! Kein Renommè für Berlin! - - -
Als erstes nun von Tatjana Gsovsky einstudiertes Ballett, das nach den Vorwurf von Dostojewsky's Roman "Der Idiot" arrangiert ist. [...] ...was man Dostojewski hier angetan hat, vieles in einem. Ein Verbrechen an Dostojewski! Hätte man mehr literarischen Takt, man hätte sich nicht an dem großen Russen vergriffen [...] Die kollektive Menschheitsidee der Russen paßt so gar nicht zu der krankhaft individuellen Expressionskunst der modernen Gsovsky. Die Bühnenbilder von Jean-Pierre Ponnelle waren wert in eine expressionistische, futuristische Ausstellung geschickt zu werden, sie der Gefahr auszusetzen, mit ihnen einen Vergleich der Welt Dostojewskis zu wagen, war wohl mehr als verfehlt. Damit soll gar nichts gegen die tänzerischen Leistungen gesagt sein. [...]
Das Hauptverbrechen ist Klaus Kinski, dem man als Fürst Myschkin eine Sprechrolle übertragen hat. Das allein war wohl der unglücklichste Ausfall und gibt den Ansatzpunkt der literarischen Wertung! Was muß Kinski da für krankes Zeug sprechen. Was macht Kinski daraus?! Dieser undisziplinierte Schauspieler gefällt sich in hysterischen Ausbrüchen, daß man glaubt er bibbert sich seine Pubertät ab. Mir ist er geradezu eklig, widerwärtig. Das ist keine Gestaltung (schon gar keine Dostojewskis!), sondern das Abreagieren halbreifen Gefühlsüberschwanges. Kinski ist wehleidig - weinerlich.... [...]
Der Beifall, der sich auch besonders nach Kinskis Erscheinen steigert. Es ist mir unbegreiflich! Allerdings sind viele von der Fakultät! Viele Tänzer! Die Musik stammt von dem jungen Henze, der schon in Hannover anläßlich der "Boulevard Solitude" so gefeiert worden sein soll, unbegründet nach Dr. Kapps Meinung; denn angeblich soll eine Claque dabeigewesen sein. Auch hier scheint es beinahe so. (Im "Kurier" steht, der Beifall sei gut organisiert gewesen!). In der Pause höre ich aber auch einige Stimmen, die gegen das Ballett sind."
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