Gedicht - Weihnachten 1945

"An meinen lieben Sohn


Immer wieder zieht es mich zum Fenster hin,

denn meinen quälenden Gedanken kann ich nicht entfliehn.


Ich sehe Dich förmlich um die Ecke schon kommen,

und Deine lieben Schritte, wie oft habe ich sie schon vernommen.


Doch es ist alles nur Illusion,

aber ich warte, warte, täglich auf meinen geliebten Sohn.


Dieser grausame Krieg ist nun endlich aus,

aber wann kommen denn unsere unschuldigen Lieben nach Haus?


Nun sind wir endlich frei und finden doch keine Ruh',

denn es kommt ja keine Nachricht von Euch Lieben uns zu.


Doch am 7. Juni, ich wollt' meinen Augen kaum trau'n,

kam ein Brief mit Deinem Namen, ich musste näher erst schau'n.


Ich konnt' es nicht fassen vor Freude und Schmerz,

es war von Dir Nachricht, das brach mir das Herz.


Ich wusste nicht, sollte ich lachen oder weinen,

so tat ich halt beides, es ging schon in einem.


Ich suchte Deinen lieben Kameraden auf,

musste aber noch warten, denn er war nicht zu Haus'.


Dort erfuhr ich von Deinem Leid,

ich war tief erschüttert und hatte doch Freud',

dass Du am Leben uns bist geblieben,

Du ahnst ja nicht Edi, wie wir alle Dich lieben.


Ich wollte durch die Ravag Dir Grüsse dann senden,

damit du weisst, dass Deine Nachricht schon in unseren Händen.


Leider sind aber die jetzigen Sender zu schwach,

da die SS bei ihrem Rückzug alles hin gemacht.


Auch Post- und Bahnverkehr sowie das Rote Kreuz,

beginnen erst später ihre Tätigkeit.


Doch Ende Juni war es endlich so weit,

nun erkundigte ich mich fast täglich beim Roten Kreuz.


Bis 18. Oktober dauerte diese Pein;

an diesem Tage kam ich ganz verzweifelt heim.


Schweren Herzens öffnete ich die Tür,

mein Blick fiel zu Boden, doch was lag da vor mir ?


Ein Telegramm kündigte uns Deine Heimkehr an,

wir sollen Dich holen von Steyrermühl mit der Bahn.


Die Freude, sie war für mich zu gross,

jetzt hab' ich endlich diesen Alpdruck los.


Doch gleich darauf kam die Reaktion,

ich fühlte mich krank und elend schon.


Obwohl ich mich zeitlich zu Bette begab,

fand ich keine Ruhe und nur wenig Schlaf.


Du darfst endlich ganz bei uns sein,

musst nicht mehr fort ins Ungewisse hinein.


Ich begann jetzt für die Fahrt alles vorzubereiten,

denn um Dich zu holen, musste man die Demarkationslinie überschreiten.


Ohne Protektion ist dies aber nicht so leicht möglich,

was blieb mir über, ich versuchte es täglich.


Fast sechs Wochen waren dabei schon vergangen,

und es wurde immer kälter, konstatierten wir mit Bangen.


Doch da kam wieder von Dir ein Schreiben,

wir mögen doch lieber hier bleiben,

Du kommst halt allein,

denn Du freust Dich schon so riesig auf unser Heim.


Endlich am 1. Dezember um halb 1 Uhr nachts,

vernahm ich ein Poltern am Gang, denn ich war wach.


Ich öffnete vor Erregung die Tür.

Bist Du's Edi ? Doch da kamst Du schon um die Biegung herführ.


Ja Mutti, ich bin wieder da,

fast genau, wie vor einem Jahr.


Jetzt hielt ich Dich zitternd in meinen Händen,

das Herzen und Küssen, es wollte kaum enden.


Wir waren so glücklich dann alle vier,

denn Du musst nicht mehr fort, Du bleibst jetzt hier.


Für uns ist dieser harte Krieg endlich aus,

nicht aber für die, die noch nicht zu Haus !


Darum soll feierlichst jedes einzelnen Schwur sein:

Nie wieder in den Krieg hinein.


In grosser Liebe,

Deine Mutti"