Frau mit Kindern Kämpft ab 1945 in Tollnigk in Ostpreußen ums Überleben

Meine Erlebnisse vor und nach dem Russeneinfall, sowie unter polnischer
Herrschaft, von Januar 45 bis 6. Januar 47, und die Ausweisung!




"Wir hatten in Tollnigk, Ostpr. einen schönen, 150 Morgen großen Bauernhof, der fast 200 Jahre in der Familie war. Es ging uns, soweit ich seit unserem Hochzeitstag, dem 28.11.39, dort als junge Frau eingezogen war, sehr gut. In der Außen- und Innenwirtschaft klappte es, dank dem Fleiß und der Tüchtigkeit unseres Vatis, tadellos. Wir hatten in den fünf Jahren den Wohlstand noch vermehrt und lebten glücklich und zufrieden. Vier Kinder [...] hatten sich inzwischen eingestellt und machten uns viel Freude. - Jedoch sollte das Glück bald getrübt werden. Es war Krieg; - und nach anfänglichen Siegen deutscherseits folgten bald die Rückschläge und Mitte Januar 1945 hallte unsere ostpreußische Heimat vom Donner und Kanonen wieder. Der Russe war auf dem Anmarsch. Unser Vati war Soldat, und ich mit meinen vier, die Buben 4 und 3 Jahre, die Mädchen 2 Jahre und 10 Monate alt, alleine auf dem Hof. Die ausländischen Arbeiter waren auch noch da. - das Grauen packte uns, als wir am Radio hörten, daß Allenstein, Wormditt und Guttstadt schon in Feindeshand waren und unsere Heimat, durch einen Vorstoß der Russen bis Elbing, bereits eingekesselt war. Was tun, flüchten? Dazu konnte ich mich nicht entschließen, denn wie hätte ich alleine die kleinen durch die von Flüchtlingen überfüllten Straßen, bei ewa 20° Frost ohne warmes Obdach, lebend hindurch bringen sollen! - Also hatte ich mich entschloßen, zu bleiben. Es war mir nicht wohl dabei, denn die Russen waren durch unsere Propaganda als rohe, verbrecherische Elemente hingestellt worden. (Später haben wir feststellen müssen, daß sie die Propaganda noch weit übertrafen.) Deutsche Soldaten kamen und gingen, arme, abgehetzte Menschen und so manchen habe ich noch gestärkt mit Milch, Brot und Fleisch. Unser Vati war inzwischen verschollen, nun hatte ich noch bei all den ängsten die Sorge um ihn. Immer näher rückte der Feind und wir wußten nicht, sind es noch Tage oder nur Stunden, die uns von ihm trennen. Durch meinen Entschluß nicht zu flüchten, obwohl 2 Wagen fertig gepackt standen, war ich etwas ruhiger geworden und hatte mich ganz meinem Schicksal ergeben. Die Nachbarn hatten sich auch soweit geeinigt. Nur etwa 5 Familien waren über Nacht geflüchtet. Wir schlachteten noch ein großes Schwein und so hatte ich durch die Arbeit etwas Abwechslung. Die Züge verkehrten nicht mehr. Auf dem Bahnhof stand ein langer Flüchtlingszug aus der Bischofsburger Gegend, der nicht mehr weiter konnte. Die Flüchtlinge kamen zu uns um sich Lebensmittel zu holen, denn ihre vorräte waren aufgezehrt. Später wurden sie bei den Bauern untergebracht und der Zug gesprengt. Dann erhielt ich Nachricht von Vati, seine Truppe sei versprengt worden, er befände sich in Heilsberg und wünschte, ich möchte nach Heilsberg kommen. Sofort machte ich mich auf den Weg. Alexander spannte ein und wir fuhren mit dem Schlitten los. Vati war jedoch nicht anzutreffen und so mußte ich unverrichteter Sache wieder heimfahren. Bei dieser Reise bekam ich einen Vorgeschmack vom Flüchtlingselend. Die Straßen waren brechend voll, dazwischen Militär. Es ging nur im Schritttempo voran. Auf den Straßen in der Stadt sah man abgehetzte Menschen, mit Köfferchen in der Hand hin und her eilen. Auch hier ging kein Zug mehr. Ich war froh, als wir von der chaussee wieder auf den Landweg kamen. Am nächsten Abend fuhr ein Soldat in den Hof. Ich schenkte ihm keine besondere Beachtung, ich dachte, es ist einer von Vielen, denn sie gingen ja in unserm Hause ein und aus. Plötzlich stand er in der Türe und wie freute ich mich, es war Vati, - doch wie sah er aus, das einst so blühende Gesicht war weiß, fast gelb und die Wangen tief eingefallen. Er war gekommen, um noch in derselben Nacht Abschied von uns zu nehmen. Ob für immer? Wer wußte es! - - -


In der nächsten nacht hatten wir etwa 30 Soldaten bei uns, die sagten: "Wir sind die letzten am Feind. Sie hatten 3 Tage keine Verpflegung mehr gehabt und ich teilte Brot, Milch und Klops unter ihnen aus. Einer von ihnen sagte: "Morgen können sie schon den Russen Milch einschen!" [Anmerkung: Sollte wahrscheinlich "Einschenken" heißen] - - unsere Nachbarn kamen zu mir mit gepackten Koffern und Rucksäcken und sagten: "Wir wollen alle zusammen sterben!" In dieser Nacht (schon Nächte vorher) schlief keiner von uns, denn das Geschieße und Gedröhne war furchtbar. Die Kinder hatte ich in voller Kleidung zu Bett gebracht für den Notfall nur zu packen und hinauszutragen. - Gegen Morgen trat etwas Ruhe ein, die Soldaten zogen ab und nun folgte eine unheimliche Stille. - Die Ruhe vor dem Sturm! -


Ich war gerade beim Mittagessen, als ich unsere Ausländer im vorderen Zimmer mit jemand sprechen hörte. Ich dachte zuerst, es seien einige von den Nachbarn gekommen, denn sie verkehrten ja untereinander. Plötzlich hörte ich feste Schritte auf meine Tür zukommen und im nächsten Augenblick (kamen) standen 2 fremde Soldaten vor mir, beide Pistolen aufmich gerichtet! - -


Ich weiß nicht, was ich den Moment dachte. (Genia sagte mir nachher zuerst wäre ich ganz weiß geworden, dann hätte ich geschwankt und zuletzt gezittert.) Sie verlangten etwas von mir, was ich nicht verstand. Die Polen, die nicht von meiner Seite wichen, sagten: "Sie wollen Uhren, oder sie schießen!" Ich holte eine Armbanduhr und der eine von den Russen rieß sie mir gierig aus der Hand. Dann wurde er freundlicher, jedoch der Andere war noch immer wütend, er forderte ebenfalls eine Uhr und fuchtelte mir mit seiner Pistole vor dem Kopf herum. Als Genia ihm versicherte, daß ich wirklich keine mehr hätte, ließ er von mir ab. Dann verlangten sie zu essen. Sie redeten nun freundlich mit uns und versicherten, wir brauchten keine Angst zu haben, es tut uns niemand was. - Ein Stein fiel mir vom Herzen. (Später wurden wir vom gegenteil belehrt.) Als sie fort wollten, ließen sie mir sagen, cih solle ein Pferd geben, wenn nicht, dann schießen sie alle Pferde im Stall tot. Darauf nahmen sie das beste Pferd und ritten davon. - - -


Mit diesem Tag begann für uns eine schreckliche Zeit. Jeden Tag gingen etwa 20-30 Russen bei uns ein und aus. Jeder von ihnen untersuchte alle Schränke, Schubladen und Betten genau und alles, was ihnen geifelnahmen sie mit, auch Lebensmittel. 30 mal am Tage wurden Schubladen ausgeschüttet, Betten aufs Zimmer geworfen, geraubt und geplündert. Ringsumher brannten die Gehöfte. - Das Schlimmste aber war - jede Frau, ohne Unterschied des alters, wurde vergewaltigt. Dabei wurde, wer sich weigerte, geprügelt, vor die Pistole gestellt, oder auf andere schreckliche Art dazu gezwungen. In vielen Fällen sind Frauen und Mädchen erschossen oder erstochen worden...."