Anti-APO-Demonstration in Berlin am 21. Februar 1968

"20.2. Dienstag: Aus der Zeitung kann man entnehmen, daß für Mittwoch-Abend eine Gegendemonstration der Berliner Bevölkerung vor dem Schöneberger Rathaus aufgerufen ist. Erst hatten andere Gruppen eine solche Demonstration Freitag-Abend am Ernst-Reuter-Platz machen wollen.

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21.2. Nachmittags ist die Gegenkundgebung zum Internationalen Vietnam-Kongreß am Sonntag. Um 16°° soll es vor dem Schöneberger Rathaus losgehen. Um mit zu füllen, will ich auch dorthin gehen. Es ist graues, kaltes Wetter. Alles sehr unwirklich... [...] Als ich Richtung John F. Kennedy-Platz mit dem Strom gehe, ist mir aber nicht ganz behaglich zumute. Viele einfache Leute ziehen da zur Veranstaltung. Etwas peinlich wirkte es ja von vornherein, daß man vielen für die Kundgebung extra früher freigegeben hatte, darunter den Arbeitern der Müllabfuhr... Kalt und unbehaglich wirkt alles auf mich als ich zwischen den Leuten da gehe. Erinnerungen an frühere Veranstaltungen tauchen auf: Als Kenndy kam, als für die Ungarn protestiert wurde. Wie viel kleiner ist das alles geworden. Wie haben sich die Zeiten geändert... Natürlich stellen sich da auch Reminizenzen mit ein, die an das persönliche Schicksal erinnern: Da war man eben hoffnungsvoller... [...] Halbstarke, ganz einfache schmächtige, primitive Bengels entrollen vor mir plötzlich, ein Stück vor dem Platz ein Plakat mit der Aufschrift: "Neubauer raus - Ristack (?) rein". Ein paar Schritte geht das gut, dann springt ein alter vergaetzter Mann (Pförtner - oder Boten-Typ) an das Plakat und zerreist es. - Es haben sich allerhand Menschen angesammelt, aber sie stehen recht locker. Kein Vergleich mit anderen Veranstaltungen die ich besucht hatte. Und dann die Reden: "Ein Vertreter der jungen Generation spricht, Matick, Amrehm, Schütz. Unter den zuhörern scheinen doch einige "Provokateure" zu sein oder wenigstens (junge) Leute, die Agitieren oder Diskutieren wollen. Einer wird durch die Reihen des Herumstehenden zurückgeschubst.
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Später hört man, daß es am Rande der Demonstration Pogrom-Szenen gegebene haben soll; Bärtige und solche, die wie Dutschke aussahen, wurden gehetzt, verprügelt u. mußten in Polizei-Gewahrsam genommen werden. Tatsächlich sind die Nerven gereizt. Wenn Halbstarke, Leute mit langen Harren, Bärten oder schlapper Keidung durch die Demonstrierenden ziehen, ist man darauf gefaßt, daß sie gleich irgenwelche Provokationen anzetteln. Man ist mißtrauisch geworden.

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Sie peitschen die Masse ganz schön auf, sprechen vieles aus, was den Menschen nach den Ereignissen am letzten Sonntag (und auch schon vorher) aus den Herzen spricht, die wecken aber auch Emotionen. Bezugnahmen auf Dutschke und seine Genossen beim Verhalten vor dem Untersuchugsausschuß im Rathaus am Tag vorher. (Er hatte sich als Industriekaufmann ausgegeben und Rad geschlagen). Mattick putscht, Amrehm putscht besonders geschickt, stichelt auch gut als Opposition gegen Stadträte, die unter den Pappköpfen von Rosa Luxemburg und Che Guavera durch die Straßen marschieren...

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Bei Kollektivveranstaltungen werde ich ja immer ganz nüchtern und unbeteiligt... Dann ists vorbei. - Ich ziehe durch die Doministraße Richtung Hauptstraße los. Da gibt es noch einen Auflauf. Findet da ein Handgemenge statt? Ich gehe etwas näher heran, kann aber nichts genaues ausmachen. Auch andere höre ich: "Mann, ich will heil nach Hause kommen".