Ein Berliner verfolgt das Olympia-Attentat 1972 in den Medien

"Übrigens war ich vor Marga Schoeller noch bei Bilka. Dort liegt schon sehr früh der „Abend“ aus. In den Kolonaden. Ich nehme die Überschrift wahr: „Zwei Israelis erschossen. - Überfall auf das Olympische Dorf“ usw. Ich will eigentlich gleich kaufen, aber kein Verkäufer am Stand. Ich denke, da ist mir etwas zur Sensation hochgeputscht, vergesse das immer wieder, nehme dann doch die Überschrift mal wieder halb wahr. […] Am Wittenbergplatz. Endlich kaufe ich mir den „Abend“. Der Verkäufer sagt etwas, was ich erst nicht verstehe, mir erst später dämmert: Er sagt wohl; „Nun wird auch schon bei der Olympiade geknallt“. Ich sage erst lächelnd „Ja, ja“. Ich verziehe mich auf die Bänke am Wittenbergplatz.


Übrigens ist da auch ein Farbfernseher aufgestellt, Reklame irgendeiner Firma. Ein kleines Podium, wenige kleine Gartenstühle unter einem gewellten Durchsicht-Dach davor. Aber da sitzt kein Mensch. Die Lichtverhältnisse sind doch zu schlecht. Ich bleibe auf der Bank am Rande sitzen. Höre aber (2. Programm) Harry Valerien Sport-Ereignisse, aber hauptsächlich die Situation mit den eingedrungenen arabischen Terorristen, den Israelis als Geiseln kommentieren. Nachdem ich den „Abend“ gelesen habe, ist mir erst richtig aufgegangen, was sich da abgespielt hat. Die „heiteren Spiele“ sind zerstört. Daß irgendeine dumme Sache, die man nicht erwartet hatte, bei den Spielen passieren würde, hatte ich geglaubt, aber daß auf diese Weise eine abrupte Cäsur gesetzt würde, konnte keiner ahnen! […] Bin gegen ½ 12 h in die Wohnung zurück. Frau Riedel steht schon wieder im Zimmer. Nun bringe ich diese „Sensation“ mit. Allmählich dämmert das Bewußtsein, was eigentlich Geschehen ist. Das Fernsehen wird dann angestellt. Kommentar, Filme, Augenzeugen. Oft tauchen die gleichen entscheidenen Szenen von Augenzeugenberichten auf, Unklarheiten, ob 1 oder 2 Israelis erschossen worden sind. Mosche Weinberg ist der effektive Tote. Unklarheiten über die Anzahl der israelischen Geiseln zunächst. Dann steht fest, 9 werden festgehalten. Arabische Teroristen, kleinwüchsig, mit weißem Hut, Maske vor dem Gesicht, halten sie im Olympischen Dorf gefangen. Interviews im Dorf, auf Münchens Straßen. Lageberichte. Einige Veranstaltungen gehen noch am Nachmittag weiter, werden dann aber zunächst ausgesetzt. Verhandluungen mit den Geiseln.


Nachher Nachrichtensperre, da die Terorristen im israelischen Quartier auch Fernsehen können. Brandt, Ahlers kommen nach Bonn. Interviews in Bonn. Ahlers idiotisch einem eigenen schlechten Bonner hinterher lachend, kurz vor dem Start nach München. Brandt nach München. Genscher als Innenmnister, das Land Bayern am Krisenstab beteiligt. Ultimatum der Terroristen, mit denen immer wieder verhandelt wird. Verlängerte Ultimaten. Eine makabre Szene. Man sucht noch Volley- und Handballspiele, die im Gange sind. Makaber alles. Der Abend geht mit diesen Ereignissen weiter. Es ist gespenstisch. Keine anderen Gedanken als an die zerstörte und ungeklärte Situation in München. - Ultimatum von 12 Uhr auf 15 Uhr, dann auf 17 Uhr verlängert. Dann nochmals. Brandt hält eine Ansprache über das Fernsehen. Ernste Musik am Abend: Karajan mit Weissenberg und den Berliner Philharmonikern mit den Tschaikowsky B-Moll-Klaiverkonzert.


Die Lust zum Konzertgang wächst doch wieder. Dazwischen Unterbrechungen über den neuesten Stand der Dinge. Politiker im Studio: Bayerns Ministerpräsident Goppel, Münchens ehemaliger Bürgermeister Dr. Vogel, andere, später auch Regierungssprecher Ahlers. Man hört, daß Geiseln angeboten wurden. Vogel und andere wollen nicht sagen, wer sich angeboten hat. Die Araber nehmen das ab. - Ein politischer Fernseh-Redakteur greift immer wieder zum Telefon. Man hört, daß Brandt mit dem ägyptischen Ministerpräsidenten Sadat telefonisch sprechen wollte, der sich nicht erreichen ließ. Verhandlungen mit anderen ägyptischen Regierungen. Mitgehörte Augenzeugenberichte aus dem Olympischen Dorf: Spannender geht ein erdachter Krimi nicht! Man hört: Hubschrauber, 3 Stück, landen im Olympischen Dorf. Busse fahren dort hin. Araber + geiseln steigen in die Hubschrauber. In den dritten Hubschrauber steigt der Krisenstab mit Genscher, dem Polizeipräsidenten Strauß soll auch dabei sein. Goppel, Vogel, andere sitzen noch im Fernseh-Studio. Erst denkt man, die Hubschrauber fliegen nach München-Riem. Dann geht es zum Flughafen Fürstenfeldbruck. Angeblich sollen alle nach Äghypten geflogen werden. Dann wird von Schüssen auf dem Flughafen berichtet. Es heißt, alle Geiseln seien frei. Auch arabische Terroisten wären versprengt im dunkelnen Gelände.

Regierungssprecher Ahlers gibt diese „geglückte“ Operation bekannt, selbstsicher, als ob es um einen militärischen Operationsplan im Kriege ginge. Bald zieht er auch solche vergleiche heran. - Inzwischen sieht man Maazel mit dem R50 in der Philharmonie. (Wie alt die Karajan-Aufnahme war, sahen wir an Karajan, Frisur und an der Brille des Boisten Lothar Koch: seit Jahren hat er Schalen!) Nun Maazel mit dem 1. Brahms-Klavierkonzert. Seine Frau Israela Margalit spielt. Immer wieder Ablenkungen, Ausblendungen. Wir verfolgen den spannenden Krimi bis nach Mitternacht, gegen 1/4 1 Uhr. - Anschließend höre ich noch über Tiny weiter. Bekomme da auch direkte Situationsberichte von Fürstenfeldbruck! Nun ließt er, ein Hubschtrauber ginge in Flammen auf. Man hört Detonationen, Schüsse peitschen. - Gegen 1 Uhr mache ich wohl aus, schlafe ein. - -


6.9. Mittwoch: Bin vor 7 Uhr munter. Habe nicht lange geschlafen. Die Ereignisse aus München gehen durch den Sinn. Ich stelle über Tiny die 7 Uhr – Nachrichten ein. Da kommt der große Schock: Die Nachricht, daß alle Geiseln tot sind, außerdem 5 der arabischen Terroristen, auch ein deutscher Polizist, ein Hubschrauber-Pilot schwer verletzt. Nach der Erfolgsmeldung vom Abend vorher ist das kaum zu verwinden. Ich hatte Tiny laut gestellt bei den Nachrichten. Die Nachbarn von unten scheinen sich revanchieren zu wollen, indem sie den Hund laut bellen lassen. Ich werfe meiner Mutter durch die Diele die Hiobspost zu. Wir nehmen an, nun sind die Spiele geplatzt. Sie können nicht fortgesetzt werden. Denkt man – Am Abend vorher war von vielen, Daume, usw., schon angedeutet worden, daß man die Spiele fortsetzen könnte, wenn es nicht mehr Opfer als die beiden geben würde. Nun scheint alles kaputt zu sein. - Ich lese in der Zeitung, höre im Rundfunk früh von der Presse-Konferenz, die gegen 3 Uhr, ½ 4 Uhr stattgefunden hatte und auf der das ganze Debakel bekanntgegeben werden mußte.


Genscher, der Münchner Polizeipräsident Schreber, der bayrische Innenminister Merk usw. Einzelheiten, sich immer widersprechende Einzelheiten über die Ereignisse in der Nacht in Fürstenfeldbruck. - Für 10 Uhr ist eine Trauerfeier im Olympia-Stadion angesetzt. Werden die Spiele weitergehen? Das IOC soll nach der Feier deswegen tagen. Das Stadion füllt sich doch ganz. Im Innenraum viele Sportler. Die Münchner Philharmoniker spielen zum Anfang unter Wempe einen Trauermarsch und aus einer Beethoven-Symphine. Ist es die 5. oder die 3? Daume redet. Dann der Priester der israelischen Olympia-Delegation, hebräisch. Man steuert über die taktvollen Worte. Keinerlei Anschuldigungen. Versöhnlich: Israel wird auch weiter an Olympischen Spielen teilnehmen. Ebenso tolerant, voller Haltung und Würde der israelischen Botschafter Ben Horin. Er übersetzt anschließend selbst aus dem Hebräischen ins Deutsche. Dann Heinemann, der sehr deutlich wird: „Schuldig seine auch jene Länder, die solches Tun nicht verhindern." Eine Adresse an die arabischen Staaten.


Zum Schluß Brundage: „The Games must go on!“. Da erfährt man, daß vom IOC schon beschlossen worden ist, daß die Spiele doch fortgesetzt werden. Am Nachmittag geht es also weiter – nach der Trauerfreier ruft auch die Tante an. Im Büro haben sie auch gemeinsam die Trauerfeier im Fernsehen angeguckt. Mittags, ab 13 Uhr, schließt die Firma - - Anschliessend im Fernsehen mit ein Standbild und ernste Musik. Vormittags hatte man auch öfter den Münchner Polizeipräsidenten im Studio. Er hatte mit den Terroristen gesprochen. Sie haben einen sehr klugen, intellektuellen, vorbildlichen Eindruck gemacht. Einer hatte indirekt eine Handgranate mit Schlaufe in der Handfläche gezeigt usw. - Ärgere mich (tagelang noch danach) über die Äußerung der Mannscahft der „DDR“-Delegation Ewald: Sie verabscheuten Gewalt und Terror als Mittel zur Durchsetzung politischer Lösungen. - Die mit ihrer Mauer haben es gerade nötig!! - Meine Nerven wieder aufs Äußerste gereizt. - Lege mich nun Mittags mal hin. Bis um 15.30 Uhr das Programm fortgesetzt werden soll. Die Spiele gehen weiter... Sehe einige weniger interessante Sportarten. Dazwischen geblendet immer wieder Kommentare, Wiederholungen, Neues zu dem Terror-Schock. - Abends werde ich ins Renaissance-Theater gehen."