Das Märchen vom Osterhasen

Es war einmal ein Mann und eine Frau. Die wohnten in einem kleinen weißen Hause, das lag am Berge. Nun war ein wunderschöner Sonntag nachmittag. Frau Sonne lachte aus Leibeskräften vom blauen Himmel herab und freute sich, daß sie alle Leute aus den Häusern lockte. Da sah sie mit einem Male so im Vorbeigucken mit einem Auge zu einem Fensterchen in das kleine weiße Haus hinein. - Nein, so was! - Und schnell sah sie mit beiden Augen genauer zu: War es die Möglichkeit! Da saßen wahrhaftig noch Leute, die hatten gar keine Lust, spazieren zu gehen. Die Frau setzte gerade die Teller zusammen, und der Mann saß im Lehnstuhl und strich sich den Leib und sagte. „Hm, Schweinebraten und Kartoffelklöße und Apfelmus zum Nachtisch möchte ich wohl jeden Tag!“ Und dann machte er die Augen zu zum Mittagsschläfchen.


Frau Sonne wollte erst böse werden. Aber dann mußte sie doch lachen über die Faulpelze. Schnell rief sie alle ihre Strahlenkinderchen herbei: „He, ihr Gesindel, nun mal an die Arbeit. Kitzelt den Faulen da im Lehnstuhl tüchtig!“ - Hui, kamen die angesaust. Ein kleiner Strahl setzte sich ihm auf's rechte Ohr, einer auf's linke. Ein paar hüpften auf seinem Bäuchlein herum, und ein ganz frecher, lustiger sprang auf seiner Nase hin und her und malte goldene Kringel darauf. War das ein Spaß! - „Hat-schi-i-i-!“ - Krrr – weg waren die Sonnenstrahlen, solchen Schrecken hatten sie bekommen. Und der faule Mann saß da mit weit aufgerissenen Augen, und Frau Sonne lachte ihn so recht schadenfroh an. - Ach, war das heut für schönes Wetter, und für warmer, goldner Sonnenschein! Jetzt merkte er's erst! - „Weißt Du was, liebe Frau,“ sagte er, „wir wollen doch heute mal auf den Berg steigen und uns einen großen Buschen Weidenkätzchen holen.“ - Und dann machten sie sich fein. Der Mann band einen neuen Knallblauen Schlips um, und die Frau setzte sich einen feinen Frühlingshut auf mit einer roten Rose.


Sie hakten sich ein und zogen vergnügt den Berg hinauf. Da oben war's schön. Die Birken hatten weiße Kleider angezogen und zarte rotbraune Schleier flatterten von ihren Zweigen. An den Weidenbäumen saßen lauter neugierige Kätzchen mit silbergrauen Sammtpelzchen. Und an den schwanken Zweigen der Haselnußstauden hingen sie lang herunter wie niedliche kleine Raupen. „So, hier kann's losgehen“ -,sagte der Mann, zog ein großes, blankes Messer aus der Hosentasche und fing an zu schneiden. - „Noch mehr – noch mehr“ -,sagte die Frau immer. Garnicht genug konnte sie kriegen und hatte doch schon einen großen, ganz großen Strauß im Arm. „Sind die aber happig, die rupfen mir ja meinen ganzen Frühlingswald ab“ - meinte Mutter Sonne entsetzt, „fix, Kinder, zeigt ihnen mal was anderes!“ Und schon sprengen die Strahlenkinder noch ein bischen weiter den Berg hinauf in den Tannenwald hinein. Der sah auf einmal garnicht mehr still und dunkel aus: Hier waren goldne Flecke, und da waren goldne Flecke!


Hopp, hopp, sprangen die Strahlen von einem Tännchen zum andern und spielten Versteck miteinander. Die Frau sah ihnen zu und mußte lachen, so vergnügt sah der Tannenwald mit einem Mal aus. Aber da wurden ihre Augen immer größer. Was war das nur? Da hüpfte ja wahrhaftig ein weißes Osterei im Tannenbaum herum. Ja, wirklich, es war ein weißes Osterei! - „Mann, Mann, komm doch mal schnell, „sowas hab ich ja all mein Lebtag noch nicht gsehen!“ - Und sie stolperte, so schnell sie mit ihrem großen Buschen konnte, den Berg hinauf, und der Mann hinterher. - Nun standen sie zusammen vor dem Tannenbaum. Das weiße Osterei, weißt Du, was das war? Der kleine Schwanzstummel von einem Hasen, der fleißig hin und her hüpfte und in goldnen Netzlein Eier zum Trocknen auffing. - Unter der Tanne saß der Hasenpapa mit der Brille auf der Nase vor einem großen Korb voll weißer Eier.


Und neben ihm standen sechs Näpfchen, und in jedem Näpfchen steckt ein Pinselchen. Da war blaue, rote, grüne, gelbe, braune und schwarze Farbe drin. Und er strich die Eier immer abwechselnd blau, rot, grün, gelb, braun und schwarz an. Die müßte der kleine Hase in die Netze füllen und in die Sonne hängen. In einem großen Neste saß die Hasenmama und legte Eier. Und wenn das Nest voll war, wurden die Eier in einen Korb gepackt, und sie setzte sich wieder ins Nest und legte immerzu, immerzu, ein Ei nach dem andern. Ja, so war Ostern, das gab viel Arbeit! Mann und Frau sahen still und stumm vor Staunen zu. Da kam wieder der kleinste, frechste Sonnenstrahl und kitzelte den Mann an der Nase, und wieder machte er - „hat-schi-i!-“ - „Hu“, schrie Mama Hase entsetzt, und Papa Hase sah stirnrunzelnd über seine Brille weg auf dich Störenfriede. „Ach, entschuldigen sie nur, sehr geehrte Osterhasen“, sagte der Mann stotternd, „wir – wir wollten wirklich nicht stören; wir gehen auch sofort wieder! und er zog seine Frau am Ärmel, sie sollte mitgehen. Aber die dachte: Solch gute Gelegenheit findet sich nicht wieder! Und so machte sie denn einen tiefen Knix und sprach höflich: „Lieber Herr Osterhase, ich habe einen kleinen Bruder, der wohnt weit von hier in einer großen Stadt. Da fahren sogar Elektrische, so groß ist die Stadt.


Wollen sie vielleicht so gut sein und sich aufschreiben, wo er wohnt. Dann finden sie Ostern leichter den Weg.“ - „Hm, hm“, meinte der Hasenpapa nachdenklich, „das könnte man ja tun.“ Und er griff in die Tasche und zog ein Päckchen zusammen genähter Birkenblätter hervor. Das war sein Notizbuch. Dann schrieb er mit einer Tannennadel auf eines der braunen Blätter, wie der kleine Junge hieß, und wo er wohnte. - „Tja,“ sagte er, morgen geht eine Sendung Pakete ab an lauter kleine Jungen und Mädchen. Wollen mal sehen, vielleicht bleibt eines übrig für das Brüderchen in der großen Stadt.“ - Die Frau bedankte sich vielmals und machte jeden Hasen einen Knix. - - Dann lief sie hinter ihrem Manne drein und erzählte es ihm. Auf dem Nachhauseweg sprachen die beiden noch immerzu von den drei Osterhasen und von dem Eierpaket, das morgen abgeschickt werden sollte. - Ob sich der kleine Bruder wohl gefreut hat?